Rezensionen Caro van Leeiuwen
Literatur aus Afrika

Adebayo Ayobami: Bleib Bei Mir, 2018

Aus dem Englischen: Stay With Me, 2017

Yejide heiratet ihre grosse Liebe Akin, doch die erwartete und erhoffte Schwangerschaft bleibt aus. Sie versucht alles und hofft auf ein Wunder, doch nichts hilft. Ihre Schwiegereltern drängen und üben Druck aus, bis Akin eine Zweitfrau nimmt. Yejide ist verzweifelt, kommt des Wahnsinns nahe. Adebayo Ayobami beschreibt in ihrem Roman den Druck auf kinderlose Frauen in Nigeria und den abgrundtiefen Schmerz, das eigene Kind zu verlieren. Die entscheidende Frage ist aber menschlich und universell: Wie weit ist man bereit zu gehen, um sich den Wunsch der eigenen Familie zu ermöglichen?

Die Geschichte spielt vor dem Hintergrund des Nigerias der 80er Jahre.
Druck und Spannungen spiegeln sich in der Öffentlichkeit und im Privatleben. Die seelischen Schmerzen und das unaufhörliche Zerbrechen einer Ehe gehen dem Lesenden ans Herz und lassen erahnen, wie schwer Erwartungen auf einen Menschen lasten können.

Bleib bei mir

Naomi Alderman: Die Gabe, 2018

Original: The Power, 2016


Ohne Vorwarnung entwickeln junge Frauen eine neue Kraft: Sie können elektrische Stromstösse aussenden. Wie eine Epidemie breitet es sich aus, denn die Gabe wird von Frau zu Frau per Berührung übertragen. Die Frauen können mit einer einfachen Bewegung schreckliche Schmerzen verursachen – ja sogar den Tod.

Mit der neuen Kraft der Frauen werden die herrschenden Machtstrukturen in Frage gestellt: Frauen wehren sich erfolgreich gegen patriarchale Gesellschaften auf der ganzen Welt, eine revolutionäre Bewegung kommt in Gang. Doch die neue Weltordnung ist nicht friedlich und heil, wie wir uns denken können. Kriege entstehen und machthungrige Frauen unterdrücken die Männer des Landes auf krasse Art und Weise.

Was das Buch zusätzlich interessant macht, sind die fiktiven dokumentarischen oder historischen Kapitel zwischen den Erzählungen. Zum Beispiel erörtert eine Gruppe von Verschwörungstheoretikern, wie die Frauen den Untergang der Männer planen. Die Kommentare klingen gar nicht fremd, sondern erinnern an aktuelle konservativ-rechtsideologische Debatten – die gleiche Rhetorik und der gleiche Hass.

Nicht nur die Geschichte der Figuren an sich fesselt die Leser*innen, sondern auch die verschiedenen Gedankenspiele verursachen Gänsehaut. So manche Beschreibung der Gewalt lässt sich fast nicht lesen und wir realisieren gleichzeitig, dass sie in der Realität weltweit gegen Frauen gang und gäbe ist.

Naomi Alderman kehrt jedoch in ihrem Science Fiction Thriller nicht einfach die Gender-Macht-Strukturen um, sondern schafft mit dem Gedankenexperiment eine äusserst spannende Distopie. Im deutschen Titel geht der vieldeutige Sinn des Originaltitels „Power“ leider verloren, denn Power bedeutet sowohl Macht als auch Kraft als auch Strom. Alle drei spielen eine Rolle, doch die zentrale Frage bleibt: Was kann Macht bewirken? Wie würden Frauen mit dieser Macht umgehen? Und wie würden sich Männer in dieser Welt bewegen und behaupten?

Die Gabe

Yaa Gyasi: Heimkehren, 2017

Aus dem Englischen:
Originaltitel: Homegoing, 2016


Es beginnt mit zwei Schwestern, die sich nicht kennen. Und es entspinnen sich zwei Familiengeschichten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, die gleich beginnen und sich am Ende wieder kreuzen. Yaa Gyasi beschreibt mit ihrem Debüt eine beeindruckende Geschichte über ihre Heimat Ghana sowie ihre Wahlheimat, die USA.

Goldküste, 18. Jahrhundert: Effia und Esi haben dieselbe Mutter, wachsen aber getrennt auf. Effia wird mit einem schottischen Sklavenhändler verheiratet und lebt fortan privilegiert in Cape Coast an der Küste. Esi wird als Sklavin gefangen genommen und mit dem Schiff über den Atlantik in die USA verschifft, wo sie auf einer Baumwollplantage arbeiten muss. Mit jedem Kapitel tastet sich die Autorin einer nächsten Generation vor und greift dabei historische Begebenheiten beider Länder auf. An der Goldküste und dem späteren Ghana sind dies unter anderem die Anglo-Ashanti Kriege und die Unabhängigkeit, in den USA die Sklaverei, der Bürgerkrieg und die Rassentrennung.

So ergibt sich eine Reihe von Kurzgeschichten zu einzelnen Personen, die sich auf einander beziehen. Jedes Mal fühlt man sich als Leser*in in die Protagonist*in ein und ist gleichzeitig neugierig, was aus ihren Nachfahren wird. Gleichzeitig eröffnen sich Perspektiven der Geschichte, die, wenn überhaupt, im Allgemeinwissen nur marginal vorhanden sind. Zum Beispiel der Widerstand der Ashanti gegen die britischen Kolonialherren oder die Zwangsarbeit von Afroamerikaner*innen in den Kohleminen von Alabama. Nach sieben Generationen endet der Roman schliesslich in der Gegenwart.

Das Buch berührt und zeigt eindrücklich auf, wie die Geschichte und das, was man Schicksal nennen mag, die Menschen formen und beeinflussen.

Heimkehren

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